Die Filterblase

Die Bildungsingenieure

Mechanismen hinter der Social Media Filterblase 


Die 1980er. 

Das Phänomen der Filterblase ist kein neues Konzept, sondern ein grundlegendes menschliches Verhalten, das sowohl in der analogen Welt meiner Teenager-Zeit in den 1980er Jahren als auch in der heutigen digitalen Social-Media-Welt auftritt. Damals wie heute waren Menschen durch begrenzte Informationsquellen geprägt. In den 1980ern stammten Informationen hauptsächlich aus regionalen Zeitungen, drei TV-Sendern oder dem persönlichen Umfeld, worin alternative Sichtweisen kaum Gehör fanden. Soziale Gruppen wie Familie und Freundeskreis, der Schützenverein und der Fussballclub verstärkten diesen Effekt zusätzlich. Jeder wusste, wem man im Dorf besser kein Geld leiht, wer der Alkoholiker war, wer ganz verrückte Weltverbesserer-Ideen hatte und wo der Großbauer angeblich sein Geld versteckte. Meinungen und Ansichten wiederholten sich, wodurch eine geschlossene Weltanschauung entstand – ein analoger „Echokammer-Effekt“.

In der analogen Welt war der Zugang zu Informationen stark begrenzt, während Social Media theoretisch unbegrenzte Vielfalt bietet. Allerdings personalisieren Algorithmen Inhalte gezielt nach Nutzerverhalten, wodurch individuelle Filterblasen entstehen. Diese sind dynamischer, aber auch manipulativer. Zudem verbreiten sich Informationen heute in Sekundenschnelle, im Gegensatz zur langsameren analogen Verbreitung. Während Menschen in den 1980ern Inhalte passiv konsumierten, beeinflussen sie heute aktiv durch Likes und Shares, welche Informationen dominieren. Damit sind digitale Filterblasen nicht nur schneller und individueller, sondern auch schwerer zu durchbrechen. Die analoge Filterblase war homogener, die digitale ist flexibler – jedoch oft stärker verzerrt.

Der Hauptunterschied liegt also weniger im Prinzip der Filterblase als in ihrer Reichweite, der Technologie und der höheren Mitgestaltung durch uns Nutzerinnen und Nutzer. Sowohl analog als auch digital gilt: Menschen suchen Informationen, die zu ihrem Weltbild passen, und meiden Unbequemes – ein universelles menschliches Verhalten.

Trump

Obwohl ich mich für relativ gebildet und informiert halte, hat mir die Wahl Donald Trumps vor Augen geführt, dass auch ich mich in einer amerikanischen “linksgrünversifften” Blase befand, in der ein Wahlsieg Trumps als unvorstellbar galt. Das war der Auslöser, mich damit mal wieder näher zu beschäftigen und vielleicht ein wenig Material für Lehrkräfte hier zu liefern, um das Thema auch im Unterricht anzugehen.

Die Mechanismen 

Welche Mechanismen arbeiten nun hinter den Kulissen? Wie können wir sie im Unterricht thematisieren? Wie kann man die Filterblasen platzen lassen? Dies und mehr soll in den folgenden fünf Abschnitten beleuchtet werden, in denen jeweils einer der Mechanismen näher vorgestellt werden soll.

1 Bestätigungsfehler (Confirmation Bias) und Selektive Aufmerksamkeit

Der Bestätigungsfehler führt dazu, dass Menschen Informationen bevorzugen, die ihre bestehenden Überzeugungen stützen, während sie andere Informationen ignorieren. Dies geht oft Hand in Hand mit selektiver Aufmerksamkeit, bei der Menschen nur bestimmte Informationen wahrnehmen und andere ausblenden. Auf Social Media bedeutet das, dass Nutzer eher Beiträge liken, teilen und kommentieren, die ihre eigenen Meinungen bestätigen, während gegensätzliche Meinungen ignoriert werden. Dies kann zu einer verzerrten Wahrnehmung der Realität führen und kritisches Denken erschweren.

Eine Schülerin, die glaubt, dass ein bestimmter Promi immer alles richtig macht, folgt nur Seiten und Influencern, die diesen Promi loben. Kritische Kommentare oder Berichte über Fehltritte des Promis überliest sie oder bewertet sie als „Fake News“. Ein Jugendlicher, der fest davon überzeugt ist, dass der Klimawandel ein Betrug ist, folgt nur Social-Media-Konten und Nachrichtenquellen, die wissenschaftlich unbewiesene Theorien oder Verschwörungen verbreiten. Beiträge und wissenschaftliche Studien, die die Existenz des Klimawandels belegen, ignoriert er oder betrachtet sie als Teil einer „globalen Agenda“.

Eine Schülerin, die glaubt, dass Impfungen gefährlich sind, folgt ausschließlich Influencern und Webseiten, die anti-vaxxer-Inhalte verbreiten. Artikel, die die Sicherheit und Wirksamkeit von Impfungen belegen, blendet sie aus oder bewertet sie als von der Pharmaindustrie manipuliert.

Tipps

  • Folge vielfältigen Quellen: Abonniere bewusst Accounts oder Seiten, die unterschiedliche Meinungen und Perspektiven zu einem Thema vertreten – auch wenn sie deiner eigenen Meinung widersprechen. So erhältst du ein breiteres Bild. 
  • Hinterfrage bewusst: Stelle dir regelmäßig die Frage: „Was, wenn ich falsch liege?“ Suche gezielt nach Argumenten und Fakten, die deine Meinung in Frage stellen könnten. 
  • Nutze Faktenchecks: Prüfe Inhalte, die du teilst oder liest, bei unabhängigen Faktencheck-Plattformen. So kannst du sicherstellen, dass du dich nicht nur von bestätigenden Informationen leiten lässt.
  • Suche bei Nachrichtenthemen aktiv nach Gegenargumenten und analysiere diese.

2 Kognitive Dissonanz

Kognitive Dissonanz beschreibt das Unbehagen, das entsteht, wenn Menschen mit Informationen konfrontiert werden, die ihren bestehenden Überzeugungen widersprechen. Der dabei entstehende innere Konflikt führt häufig zu Abwehrreaktionen: Informationen werden ignoriert, umgedeutet oder abgewertet. Auf Social Media äußert sich dies oft durch selektives Scrollen, Unfollowing oder Blocking von Accounts mit abweichenden Meinungen, um das Unbehagen zu vermeiden.

Ein Jugendlicher, der felsenfest davon überzeugt ist, dass Videospiele keinen negativen Einfluss auf schulische Leistungen haben, fühlt sich unwohl, wenn er in seinem Feed Studien sieht, die zeigen, dass übermäßiges Spielen die Schulleistungen verschlechtern kann. Um das unangenehme Gefühl loszuwerden, blockiert er diese Quellen. Ein Jugendlicher, der Anhänger einer extremen politischen Bewegung ist, fühlt sich unwohl, wenn er in den Nachrichten oder auf Social Media Beiträge sieht, die auf friedliche Demonstrationen der Opposition hinweisen. Um das unangenehme Gefühl der Dissonanz zu vermeiden, beschuldigt er die Medien, voreingenommen zu sein, und ignoriert die Informationen.

Eine Schülerin, die extrem gegen Fleischkonsum eingestellt ist und einen veganen Lebensstil führt, fühlt sich unwohl, wenn sie erfährt, dass ihre Lieblingsstars in einem Werbespot für ein Fast-Food-Restaurant auftreten. Statt ihre Überzeugungen zu hinterfragen, sagt sie, dass ihre Idole nur aus kommerziellen Gründen handeln und eigentlich gegen Fleischkonsum sind.

Tipps

  • Akzeptiere unangenehme Wahrheiten: Erkenne, dass es normal ist, sich unwohl zu fühlen, wenn Informationen deinen Überzeugungen widersprechen. Nutze dieses Gefühl als Anlass, mehr darüber zu lernen.
  • Rede mit Andersdenkenden: Tausche dich mit Menschen aus, die eine andere Meinung haben, und höre aktiv zu, ohne direkt zu widersprechen. Das fördert gegenseitiges Verständnis.
  • Bleibe offen für neue Informationen: Überlege, wie du widersprüchliche Informationen einordnen kannst, anstatt sie sofort abzulehnen. Manchmal hilft es, dich tiefer mit dem Thema zu beschäftigen.
  • Pausiere und Reflektiere: Versuche, vor dem sofortigem "Wegklicken" drei Gründe zu finden, warum die andere Position Sinn ergeben könnte.

3 Gruppendenken und Echo-Kammer

Gruppendenken tritt auf, wenn Gruppen den Konsens über kritisches Denken stellen, um Konflikte zu vermeiden. Auf Social Media bedeutet das oft, dass Gruppen von Gleichgesinnten homogenere Meinungen entwickeln. Der Echo Chamber-Effekt verstärkt dieses Phänomen: In einer Echo-Kammer werden Informationen und Überzeugungen innerhalb der Gruppe ständig wiederholt, wodurch sie verstärkt und gegensätzliche Meinungen ausgeblendet werden. 

In digitalen Räumen entstehen leicht Echo-Kammern, in denen sich gleichgesinnte Nutzer gegenseitig in ihren Ansichten bestärken und den Gruppenkonsens über das kritische Denken stellen. Das Gruppendenken wird durch die Algorithmen sozialer Medien gefördert, die ähnliche Inhalte und Meinungen priorisieren. Dies kann zu einer zunehmenden Polarisierung führen und die Fähigkeit zum konstruktiven Dialog mit Andersdenkenden beeinträchtigen.

Eine Gruppe von Freunden in der Schule teilt alle dieselbe Meinung über ein bestimmtes politisches Thema, und jedes Mal, wenn einer von ihnen einen Artikel teilt, der diese Meinung unterstützt, stimmen alle überein, ohne die Informationen zu hinterfragen. Jeder, der eine andere Meinung hat, wird ignoriert oder verspottet, wodurch sich die Gruppe noch stärker in ihren Überzeugungen fühlt. Eine Gruppe von Jugendlichen diskutiert in einer geschlossenen Online-Gruppe regelmäßig über Migrationsthemen und entwickelt eine stark ablehnende Haltung gegenüber Flüchtlingen. Alle teilen ähnliche Beiträge, die Flüchtlinge negativ darstellen, und Mitglieder, die differenzierte oder positive Perspektiven einbringen, werden ausgelacht oder aus der Gruppe ausgeschlossen. Dadurch werden ihre extremen Ansichten immer stärker.

In einer Online-Community für Verschwörungstheorien teilt ein Jugendlicher ständig Beiträge, die eine bestimmte politische Partei als Teil einer globalen Verschwörung darstellen. Jeder, der versucht, diese Behauptungen zu widerlegen oder Fakten anzubringen, wird als Teil des „Systems“ abgetan und aus der Gruppe gedrängt, sodass die Gruppe in ihrer extremen Meinung immer gefestigter wird.

Tipps

  • Verlasse deine Komfortzone: Tritt Gruppen oder Foren bei, die unterschiedliche Perspektiven bieten, anstatt dich nur in Communities mit Gleichgesinnten aufzuhalten.
  • Stelle kritische Fragen: Frage in deiner Gruppe aktiv nach Beweisen oder Argumenten für Behauptungen. Das hilft, blinde Zustimmung zu vermeiden.
  • Diversifiziere deinen Feed: Folge Menschen, Organisationen oder Seiten mit anderen Hintergründen, um vielfältigere Inhalte in deinem Feed zu sehen.
  • Starte regelmäßige "Perspektivwechsel-Challenges", bei denen du andere Standpunkte recherchierst.

4 Soziale Isolation

Die digitale Segregation in verschiedene Meinungsblasen kann zu einer faktischen sozialen Isolation führen. Jugendliche bewegen sich zunehmend in homogenen Online-Gemeinschaften Gleichgesinnter und verlieren den Kontakt zu alternativen Perspektiven und Lebenswelten. Dies erschwert die Entwicklung von Empathie und interkultureller Kompetenz.

Ein Jugendlicher, der sich sehr für eine bestimmte Subkultur (z. B. Cosplay oder eine bestimmte Musikrichtung) interessiert, folgt nur Accounts und Seiten, die ebenfalls Teil dieser Subkultur sind. Dadurch sieht er kaum noch andere Inhalte auf Social Media und glaubt, dass seine Interessen und Meinungen den Mainstream repräsentieren. Ein Jugendlicher, der sich ausschließlich in Online-Foren aufhält, in denen homophobe Ansichten geteilt werden, hat das Gefühl, dass seine Ablehnung gegenüber LGBTQ+ völlig normal und weit verbreitet ist. Da er nur Inhalte konsumiert, die seine Meinung bestärken, verliert er den Kontakt zu gegenteiligen Ansichten und glaubt, dass die meisten Menschen so denken wie er.

Eine Schülerin, die einer radikalen feministischen Gruppe auf Social Media folgt, sieht ausschließlich Inhalte, die Männerfeindlichkeit fördern. Sie entwickelt das Gefühl, dass Männer generell feindlich gegenüber Frauen eingestellt sind, und vermeidet den Kontakt zu Menschen mit differenzierteren Ansichten, was ihre isolierte Perspektive verstärkt.

Tipps

  • Konsumiere Nachrichten aus der echten Welt: Informiere dich regelmäßig über vertrauenswürdige, unabhängige Medien, die nicht nur auf Social Media aktiv sind, um ein breiteres Weltbild zu bekommen.
  • Pflege reale Beziehungen: Sprich mit Freunden oder Familienmitgliedern über Themen, die du auf Social Media siehst, und höre dir ihre Meinungen an. Das bringt dich oft auf neue Gedanken.
  • Bleibe neugierig: Setze dir das Ziel, mindestens einmal pro Woche etwas Neues über eine Kultur, ein Thema oder eine Gruppe zu lernen, mit der du wenig Berührungspunkte hast.
  • Plane regelmäßige "Digital Detox"-Tage, an denen reale soziale Interaktionen im Vordergrund stehen.

5 Verfügbarkeitsheurisitk

Die Verfügbarkeitsheuristik ist eine mentale Abkürzung, bei der Menschen die Wahrscheinlichkeit und Häufigkeit von Ereignissen basierend auf den Informationen einschätzen, die ihnen gedanklich am präsentesten sind. Auf Social Media sind das oft die emotionalsten oder am häufigsten geteilten Inhalte. Dies führt zu verzerrten Risikoeinschätzungen, wenn bestimmte Themen überproportional präsent sind.

Eine Schülerin folgt auf Instagram mehreren Fitness-Influencern, die ständig Inhalte über gesunde Ernährung und Diäten posten. Sie beginnt zu glauben, dass sich „alle“ mit Kalorien und speziellen Ernährungsplänen beschäftigen, und denkt, dass sie selbst auch mehr auf ihre Ernährung achten müsste, obwohl es in ihrem Alltag nicht unbedingt ein großes Thema ist. Ein Jugendlicher sieht immer wieder Videos über Verbrechen von bestimmten ethnischen Minderheiten in seinem Newsfeed und beginnt zu glauben, dass diese Gruppe besonders kriminell sei, obwohl Statistiken zeigen, dass diese Verbrechen in seinem Land nicht häufiger vorkommen als bei anderen Gruppen. Seine Wahrnehmung wird durch die häufige Darstellung in den sozialen Medien verzerrt.

Eine Schülerin folgt mehreren Influencern, die den Einsatz von Schönheitsoperationen anpreisen, und sieht immer wieder Posts über neue chirurgische Eingriffe und „Optimierungen“. Sie beginnt zu glauben, dass fast jeder in ihrem Alter solche Eingriffe in Betracht zieht oder durchführt, obwohl dies in ihrer Realität nur eine kleine Minderheit tut.

Tipps

  • Erkenne den Einfluss von Algorithmen: Wisse, dass Social Media dir oft die emotionalsten oder auffälligsten Inhalte zeigt, nicht die, die am repräsentativsten für die Realität sind.
  • Vergleiche mit der Realität: Überprüfe, ob das, was du online siehst, auch in deinem eigenen Leben oder Umfeld eine Rolle spielt. Sprich darüber mit anderen, um ihre Wahrnehmung zu erfahren.
  • Schaue auf Statistiken: Nutze verlässliche Datenquellen (z. B. Statistiken von Behörden oder unabhängigen Organisationen), um einen realistischeren Eindruck von Themen zu bekommen, die dir oft begegnen.
  • Beleuchte virale Themen nach der tatsächlichen gesellschaftlichen Relevanz.

Durchbreche die Filterblase

Zusammenfassung

Diese Informationen und Tipps sollen den Lernenden helfen, bewusster mit den Social-Media-Feeds umzugehen, andere Perspektiven zu entdecken und Ihre Wahrnehmung zu erweitern. Mit der richtigen Einstellung können Sie den Mechanismen der Filterblase entkommen und informiertere Entscheidungen treffen.

Wichtige Umsetzungshinweise für die Lehrkräfte

  • Präsentieren Sie diese Tipps nicht als strikte Regeln, sondern als Einladung zum Experimentieren
  • Betonen Sie, dass das Durchbrechen der Filterblase ein kontinuierlicher Prozess ist
  • Schaffen Sie ein offenes Diskussionsklima, in dem auch unbequeme Perspektiven Platz haben
  • Starten Sie vielleicht einfach, indem Sie das nebenstehende Poster aushängen. Zu finden in der Zip-Datei gleich hinter drunter.